(Glosse)
Als mich vorletzte Woche ein grippaler Infekt vom Schreibtisch auf die Wohnzimmercouch verbannte, blieb ich beim Zappen bei einem alten, amerikanischen Flugzeugkatastrophenfilm aus den 80ern hängen. Kennen Sie die? In denen anfangs bei den Boarding-Szenen alle Passagiere so klischeehaft vorgestellt werden? Als Zuschauer ahnt man an dieser Stelle, welcher Passagier und welches Crew-Mitglied sich in den nächsten anderthalb Stunden als Held oder Feigling entpuppen wird. Kaum angeschnallt und die Flughöhe erreicht, geht es dann auch schon los mit den Turbulenzen.

Die Rollenbesetzung ist streng festgelegt

Da wären die fürsorgliche Stewardess, die sich um den schwerkranken Passagier kümmert, der sich für seine allerletzte Chance auf Heilung auf die Reise begibt. Als Mutter Theresa der Lüfte verarztet sie im Verlauf der Handlung größere wie kleinere Wunden, spendet tröstende Worte und sagt unaufhörlich „Bitte bewahren Sie doch Ruhe!“. Dann haben wir den kleinen Jungen mit seiner Oma, die beide aus den Ferien zurückkommen. Der Junge beweist Mut, indem er die 92-Jährige mit Fallschirm aus dem Flugzeug schubst und gleich hinterher springt. Frauen und Kinder schließlich zuerst!
Darf natürlich auch nicht fehlen: Der sympathische Passagier, der auch in den brenzligsten Situationen bei guter Laune bleibt, einen Scherz nach dem anderen reißt und zuverlässig Leben rettet. Ein frisch verheiratetes Paar auf dem Weg in die Flitterwochen. Er stirbt natürlich in ihren Armen, nachdem er ihr das Versprechen abgerungen hat, bloß nicht aufzugeben. Die junge Witwe nimmt ihr Schicksal tapfer an und plant nach der rettenden Landung sofort Zukunftspläne. Noch ein Ehepaar, das jedoch schon lange verheiratet ist. Sie möchte die Ehe beenden, hat aber noch nicht den Mut gefunden, es ihm zu sagen. Sie trennt sich wenige Minuten vor der Rettung von ihm und beginnt mit dem Mann ein neues Leben, den sie fünf Minuten zuvor kennengelernt hat. Und schließlich der erfahrene Pilot, der nichts anderes kennt als seinen Beruf und gern mit dem weiblichen Bordpersonal flirtet, aber ganz Gentleman immer die Grenze zu ziehen weiß. Er setzt alles auf eine Karte, um ein gewagtes Rettungsmanöver durchzuziehen. Jeder Film braucht schließlich einen Helden.

Glück im Unglück: Vertrauen Sie auf Ihren Übersetzer

Fiebrig und mit Schüttelfrost auf der Couch sitzend kam mir der Gedanke, dass auch wir Übersetzer und Dolmetscher echte Lebensretter sind. Gefahrensituationen lauern bei uns überall. Ein Eilauftrag, der von Freitagabend bis Montagmorgen übersetzt werden muss. Ein Text, bei dem viele Sonderwünsche unseres Kunden beachtet werden müssen. Ein PDF-Dokument, bei dem mehr Zeit für das Layout draufgeht als für die Übersetzung. Eine technische Anleitung mit unglaublich viel Rechercheaufwand. Ein schlecht übersetztes Manuskript, das wir als Lektor wieder zurechtbiegen. Unser Arbeitsalltag ist zwar nicht ganz mit einem Flugzeugabsturz vergleichbar, aber in schöner Regelmäßigkeit schlüpfen wir für Kunden in unser Superfrauen-Kostüm (oder Supermann-Kostüm).

Als Retter in der Not meistern Übersetzer also alle erdenklichen Krisen. Hier mein Versuch, einer kleinen Übersetzerhelden-Typologie à la Hollywood:

Die hingebungsvollen Sprechprofis

Die Dolmetscherin bleibt wie die fürsorgliche Stewardess mit ihren kommunikativen Fähigkeiten in der Kabine gelassen und behält stets die notwendige Ruhe, auch wenn es einmal hoch her gehen sollte. Ob Gerichtsdolmetschen, Konferenzdolmetschen oder Community-Interpreting – sie schafft es, dass kein Streit zwischen den Beteiligten eskaliert und alle an einem Strang ziehen.

Die blutjungen Übersetzerfrischlinge

ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen, die ihr Studium oder ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben und sich in das Abenteuer „Selbstständigkeit“ stürzen. Sie sind voller Energie, sprudeln vor Ideen und brennen für ihren Beruf. Sie können gut mit neuen Technologien und Medien umgehen. Daher können Sie auch den Älteren noch etwas beibringen.

Die weisen Mentoren

Von wegen entbehrlich! Ohne die lebensklugen Kollegen und Kolleginnen sind die jüngeren echt aufgeschmissen. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung sind sie bereits durch alle beruflichen Höhen und Tiefen gegangen. Die ältere Generation steht mit beiden Beinen fest im Beruf, hat bewährte Tipps zur Hand. Vor allem nehmen sie die Jüngeren an die Hand – beispielsweise als Mentoren oder unter anderem in Facebook-Übersetzergruppen.

Die zuverlässigen Powwow-Granaten

Übersetzer oder Dolmetscher, denen wie dem Scherzkeks im Film nichts die Laune verhageln kann. Sie sind aufgrund ihrer lockeren Art nicht nur bei Kollegen, sondern auch bei Kunden beliebt. Bei Seminaren, Konferenzen und anderen Networking-Veranstaltungen heben sie nicht nur ein, zwei Bier, sondern auch die Stimmung. Die beste Eigenschaft ist aber die, dass man sich jederzeit auf sie verlassen kann.

Die liebestollen Herzblut-Übersetzer

Übersetzer und Dolmetscher, die ihren Beruf lieben. Sie machen keine halben Sachen. Sie sind gewissenhaft, zuverlässig und geben immer ihr Bestes. Notfalls legen sie für ihre Kunden auch mal eine Nachtschicht ein. Sie haben ihr Geschäft im Griff, bilden sich regelmäßig fort und lieben das Netzwerken mit Kollegen. Eine richtige Power-Frau eben. Oder auch ein Power-Mann!

Die findigen Problemlöser

Übersetzer und Dolmetscher, die kreativ und begeisterungsfähig sind. Sie haben keine Angst vor neuen Herausforderungen und probieren sich gern aus. Beispielsweise neue Marketing- und Akquiseideen. Oder sie investieren Zeit und Energie, um sich in ein neues Fachgebiet einzuarbeiten. Von einem Schicksalsschlag wie den Verlust eines Kunden lassen sie nicht unterkriegen. Probleme verstehen sie eher als willkommene Abwechslung, die es zu lösen gilt.

Die ehrenamtlichen Superhelden

Übersetzer und Dolmetscher, die sich ehrenamtlich engagieren und sich wie der Pilot selbstlos für andere einsetzen. Die Ämter können dabei vielfältig sein: in der Flüchtlingshilfe, bei berufsfremden Vereinen oder in Berufsverbänden als Vorstandsmitglied, in Arbeitsgruppen und Referaten. Sie sind der Kit, der die ganze Berufsmannschaft zusammenhält. Ohne sie gäbe es keinen BDÜ, keine Stammtische, keine Fortbildungsveranstaltungen, keine Networking-Möglichkeiten, kein Mentoring, kein Austausch untereinander. Sie sind eben wahre Helden!
Und für welchen Helden entscheiden Sie sich?

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